Viele-Sein – Episode 33 –
Viele-Sein – Episode 33 –

Viele-Sein – Episode 33 –

Forderungen und Opferschaft

In dieser Episode sprechen wir über Forderungen.
Forderungen, die wir persönlich als Teil der Gruppe derer, die von (organisierter, sexualisierter)  Gewalt direkt betroffen sind und an die Strukturen in Deutschland richten.

Wir besprechen dabei unter anderem den Fonds sexueller Missbrauch im familiären Umfeld, das Opferentschädigungsgesetz und die problematischen Annahmen von Opfer-, Täter- und Zeug_innenschaft, die ihm zugrunde liegen.

Im Hausmeistereitrack dieser Episode bitten wir euch unter Anderem, um eure Ideen und Wünsche zur Dezemberausgabe „Viele-Sein“, die auch in diesem Jahr eine ressourcenorientierte sein soll.

Vorwissen

Fonds „sexueller Missbrauch“ – Einzahlungsverweigerung der Länder

Sexualisierte Gewalt in der DDR

informative Texte und Folien zu sogenannten „Glaubwürdigkeitsgutachten“

Film „Spotlight“

Viktimisierung

zu Scham


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5 Kommentare

  1. Wir sind bei eurer Auseinandersetzung mit Versprachlichung von Gewalt und ihren Folgen immer wieder an dem Begriff des Opfers kleben geblieben. Schwierigkeiten haben wir mit dem Begriff in erster Linie durch den Sprachgebrauch im Zusammenhang mit ritualisierter Gewalt, fanden es dann aber ganz interessant einmal näher darüber nachzudenken. Denn auch wenn „Opfer“ im heutigen Sprachgebrauch ein gängiger Begriff für Gewalterlebende ist, entlehnt es sich etymologisch dem religiösen Kontext ‚etwas opfern‘ im Sinne von ‚einer Gottheit etwas darbringen, unter Verzicht spenden‘. Interessant finden wir das, weil bei der Herkunftsbetrachtung in der Bezeichnung „Opfer“ ja eine ganze Dynamik abgebildet wird, die vielleicht auch zum Teil erklären kann, warum Opferschaft in verschiedenen Kontexten gesellschaftlich so grundverschieden bewertet wird, bzw. warum die Gesellschaft es bei bestimmten Formen von Opferschaft eher in eine verantwortliche Auseinandersetzung schafft als bei anderen.
    Das Opfer im ursprünglichen Sinne hat für die Gesellschaft einen Sinn und einen Zweck. Angenommen im Volksstamm ‚Apfelbeißer‘ wird der ‚Große Apfel‘ verehrt und nun geht der Häuptling umher, sammelt von jedem einen Apfel ein und opfert diese für den ‚Großen Apfel‘. Diese Dynamik umfasst die gesamte Gesellschaft, denn jeder muss seinerseits eine Entbehrung leisten. Rechtfertigt wird die Entbehrung über einen Sinn (zB der ‚große Apfel‘ hat uns diese Apfelbaumplantage geschenkt und uns hier zusammengeführt) und über einen Zweck (damit wir im nächsten Jahr wieder viele Äpfel bekommen, muss der ‚große Apfel‘ uns wohlgesinnt sein). Es passiert also etwas an sich nachteiliges, und zwar für jeden aus der Gesellschaft, aber es wird nicht nur legitimiert und anerkannt, sondern es ist sogar ein ganz wichtiges Ding für die ‚Apfelbeißer‘, dass ein Opfer passiert.
    Wenn man dann einmal weiter geht und das ‚Kriegsopfer‘ betrachtet, findet man eine ganz ähnliche gesellschaftliche Dynamik, wenn auch viel komplexer. Auch wenn das heute sicher auf viele Mitglieder des Gesellschaft nicht mehr zutrifft und Krieg und seine Bedeutung immer kritischer hinterfragt werden, grundsätzlich ist der Krieg die Entscheidung einer Nation / einer Gesellschaft einen Gewaltakt zu begehen, um ein größeres Übel zu vermeiden. „Wir bekämpfen unser Nachbarland um unser eigenes Land zu schützen“ oder „Wir schicken Truppen nach Syrien, um die dortige Zivilbevölkerung zu schützen“, etc. Es gibt zwar eine Benachteiligung in der Gesellschaft, zB für die Soldaten oder die Angehörigen, die alleine zurückbleiben, etc. aber dieser Nachteil wird in Kauf genommen und damit gerechtfertigt, dass insgesamt der gesamtgesellschaftliche Nutzen größer ist. Für das „Opfer“, der Soldat der im Krieg gefallen ist oder derjenige, der ein Bein verloren hat, heißt das nun aber auch, dass dieses in direkter Relation zu der Gesellschaft steht. Der Bürger, der zuhause auf seinem Hof geblieben ist, hat noch beide Beine, weil der Soldat an seiner Stelle im Krieg war. Der Hof ist heile geblieben, weil der Krieg an weit entfernter Front verhindert hat, dass der Feind bis hier her vorgedrungen ist. Hier ist es also so gesehen gar kein so großes Ding Verantwortung für das Opfer zu übernehmen, denn zum einen kann man sich das Kriegsopfer rechtfertigen (oder weiß zumindest, dass man in einer Gesellschaft lebt, die das tut), zum anderen hat das Opfer eine Schutzfunktion für einen selbst übernommen. Man identifiziert sich mit dem Opfer.
    Die „unterdrückte und schwache junge Frau“ (um im Klischée zu bleiben), die im Rahmen von körperlicher, sexualisierter Gewalt zum Opfer wurde, hat diese Position nicht. Um ihr eine Opferschaft, in der Dynamik wie dieser Begriff sich vom Ursprung her entwickelt hat, anzuerkennen, müssten wir (die „Gesellschaft“) der Tatsache, dass da ein Opfer passiert ist, irgendeinen Sinn und Zweck geben können, wir müssten uns das Geschehen irgendwie rechtfertigen können. Es geschieht aber völlig grundlos, und mehr noch, es hat noch nicht mal einen Mehrwert. Denn um diese Schleife zu fahren „Der Frau ist das passiert, dafür musste es mir nicht passieren“, müssten wir als xy-Gesellschaftsmitglied uns selbst in die Position „potentiell unterdrückt und schwach“ hineingeben. Wo dann sicher wieder Scham und Beschämt werden eine große Rolle spielen. Viel schwieriger, als die Rolle des „starken, ehrenwerten Kriegshelden“ einzunehmen. Und hier ist dann auch noch mal die gesellschaftliche Entschädigung und Wiedergutmachung so im Rahmen OEG-Gesetz ein großes Ding.
    Gesellschaftlich gesehen: „Klar, ist ja doof, dass der Frau das passiert ist, aber es ist schließlich nicht ‚für uns’ gewesen, warum sollen wir also jetzt etwas dafür leisten?“
    Das sind jetzt alles nur unsere Spekulationen, die sicher nicht so sprachwissenschaftlich fundiert sind, und es ist alles total plakativ und verkürzt. Aber trotzdem finden wir es interessant dem Begriff der Opferschaft einmal nachzuhängen und zu schauen, ob nicht vielleicht viel der gesellschaftlichen Dynamik rund um Umgang mit Opferschaft darauf zurückzuführen ist, wie sich der Begriff ursprünglich in unseren Sprachgebrauch geschlichen hat. Ob es der Gesellschaft nicht vielleicht leichter fiele den einbeinigen Soldaten und die misshandelte Frau gleichsam als Gewalterlebende zu kategorisieren, anstatt als Opfer. Und wichtig fänden wir hier auch einmal genau zu schauen „wofür entschädigen wir eigentlich?“ Unserer Meinung nach darf es gar nicht mehr um eine ‚Opferentschädigung‘ im eigentlichen Sinne gehen; es darf nicht darum gehen einen Gewalterlebenden dafür zu entschädigen, dass er diese Gewalt auf sich genommen hat. Vielleicht würde es einen ganz neuen Raum zu lassen, wenn es zB um ein „Gesetz zur Entschädigung von Benachteiligungen, die durch zwischenmenschliche Gewalt entstanden sind“ ginge.

  2. N

    Danke für Euren Podcast! Ich hoffe, dass Ihr Euch nicht künstlich kürzt. Ich mag Eure Ausführungen und Nebengedanken und Ihr habt schon mehrfach damit Dinge auf den Punkt gebracht für mich.

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